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Die Lidl-Osterhasen schaffen im Vergleich zu den Lindt-Osterhasen eine Verwechslungsgefahr

Die Lidl-Osterhasen schaffen im Vergleich zu den Lindt-Osterhasen eine Verwechslungsgefahr

Rechtsprechung
Markenrecht

Die Lidl-Osterhasen schaffen im Vergleich zu den Lindt-Osterhasen eine Verwechslungsgefahr

4A_587/2021 v. 30.8.2022

I. Ausgangslage (zusammengefasst / teilweise mit wörtlicher Wiedergabe)

Die Chocoladenfabriken Lindt & Sprüngli AG (Klägerin und Beschwerdeführerin / nachfolgend Lindt & Sprüngli) bezweckt unter anderem Fabrikation und Verkauf von Nahrungs- und Genussmitteln, insbesondere Schokoladeartikel. Sie besitzt zum einen die am 22. Dezember 2016 registrierte dreidimensionale und durchgesetzte Schweizer Marke Nr. 696’955

für «Schokolade, Schokoladewaren, Schokoladefiguren» der Klasse 30.

Zudem ist sie Inhaberin der am 17. August 2005 registrierten dreidimensionalen und durchgesetzten Schweizer Marke Nr. P-536'640 mit Farbanspruch «gold, braun, rot»


für «Schokolade, Schokoladewaren» der Klasse 30.

Nach Angaben der Klägerin werden in goldfarbiger Folie verpackte Schokoladehasen (nachfolgend Lindt-Hasen) seit 1952 in praktisch gleicher Form und Ausstattung vertrieben. 

Am 19. Dezember 2018 erhob die Lindt & Sprüngli gegen die Lidl Schweiz AG (Beklagte 1) sowie Lidl Schweiz DL AG (Beklagte 2) Klage beim Handelsgericht des Kantons Aargau u.a. mit dem Hauptbegehren, den Beklagten sei (sinngemäss) zu untersagen, Schokoladehasen (nachfolgend Lidl-Hasen genannt) gemäss folgender Abbildung

zu verwenden.

Eventualiter wurde unter anderem Analoges verlangt für Produkte folgenden Aussehens:

Mit Urteil vom 16. September 2021 wies das angerufene Kantonsgericht die Klage in allen Punkten ab, soweit darauf einzutreten war. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, es liege weder eine Verwechslungsgefahr vor noch eine unlautere Anlehnung im Sinne des UWG. Dabei wurde u.a. geltend gemacht, die fraglichen Produkte würden – zumal relativ teuer und nur über Ostern verkauft – durch einen erhöht aufmerksamen Adressatenkreis erworben. Selbst wenn die Lindt-Hasen als starke Marke gälten, fehle eine Verwechslungsgefahr, zumal die Lidl-Hasen eher comic-haft mit aufgeweckt lebendigem Ausdruck aufträten, während die Lindt-Hasen eher als stilisiert-behäbig und anmutig erinnert würden. Auch bestünden Unterschiede in (genannten) Details der Erscheinungsbilder. 

Gegen diesen Entscheid erhob die Lindt & Sprüngli Beschwerde beim BGer.

Gutheissung der Beschwerde

Vorbemerkung: Angesichts der spezifisch auf Immaterialgüter- und besonders Markenrecht ausgerichteten Grundsatz-Erwägungen des BGer zu Gutachten wird diesem Thema bezüglich der Grundsätze eine besondere Ziffer II hienach gewidmet. 

II. Grundsätze betr. Gutachten (Auszug / teilweise mit wörtlicher Wiedergabe)

a) Im Lichte des Immaterialgüter- und insbesondere des Markenrechts können Privatgutachten zusammen mit durch Beweismittel untermauerten Indizien einen Beweis erbringen, zumal sie i.d.R. besonders substanziiert sind. (E. 4.5 i.V.m. E. 4.5.1)

b) Gemäss bisheriger Rechtsprechung sind Umfragen wie demoskopische Erhebungen – als Urkunden – geeignete Beweismittel, wenn sie bezüglich der befragten Personen und der verwendeten Methoden wissenschaftlich konzipiert und korrekt durchgeführt wurden. (E. 4.5.5 i.V.m.E. 4.5.3 und 4.5.4 sowie E. 4.5.6 sinngemäss)

III. Ausführungen unter dem Aspekt des Markenrechts (Auszug / teilweise mit wörtlicher Wiedergabe)

1. Grundsätzliches:

a) Gemäss Art. 2 Abs. a MSchG sind dem Gemeingut zuzuschreibende Zeichen nicht schutzfähig, vorbehalten bleibt eine allfällige Verkehrsdurchsetzung für die beanspruchten Produkte. (E. 4.2 Abs. 2 erster Satz)

b) Voraussetzung einer Verkehrsdurchsetzung ist, dass das Zeichen durch einen erheblichen Teil der Adressaten der betroffenen Produkte im Wirtschaftsverkehr als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen verstanden wird. (E. 4.2 Abs. 3 erster Teil)

c) Der Nachweis einer Verkehrsdurchsetzung kann mittels repräsentativer Befragung bzw. Erhebung erbracht werden; denn Umfragen wie demoskopische Erhebungen – als Urkunden – sind in diesem Zusammenhang geeignete Beweismittel, wenn sie bezüglich der befragten Personen und der verwendeten Methoden wissenschaftlich konzipiert und korrekt durchgeführt wurden (vgl. dazu Ziff. II hievor). (E. 4.2 Abs. 3 letzter Satz sowie E. 4.5.5 i.V.m.E. 4.5.3, 4.5.4 und E. 4.5.6 sinngemäss)

d) Eine relevante Verkehrsdurchsetzung (vgl. Art. 2 Bst. a MSchG) wurde durch das Bundesgericht in einem Fall bejaht, in welchem zwei Drittel von repräsentativ befragten Personen sich entsprechend geäussert hatten. Im Zusammenhang mit einer notorisch bekannten Marke begnügte sich das BGer mit 50 Prozent. (E. 4.7 sinngemäss)

e) Gemäss Art. 13 Abs. 2 MSchG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Bst. c MSchG kann der Inhaber einer älteren Marke unter anderem Dritten verbieten, ein jüngeres Zeichen zu gebrauchen, welches – aufgrund der massgebenden Verkehrskreise und ihres Aufmerksamkeitsgrades – (i) seiner Marke ähnlich ist (Stichwort: Zeichenähnlichkeit) und (ii) für gleiche oder gleichartige Produkte bestimmt ist (Stichwort: Produkteähnlichkeit), sodass sich daraus eine Verwechslungsgefahr ergibt. Gleichzeitig ist im Widerspruchsverfahren (iii) die Kennzeichnungskraft bzw. der Schutzumfang der Widerspruchsmarke zu beachten. (E. 2 Abs. 1 i.V.m. E. 6.3.3 erster Teil sowie E. 6.3.1)

f) Eine Verwechslungsgefahr im vorliegenden Sinne setzt voraus, es sei zu befürchten, dass die massgebenden Verkehrskreise die betroffenen Produkte aufgrund der Zeichenähnlichkeit dem falschen Markeninhaber zurechnen oder aber falsche Zusammenhänge vermuten. Dabei zählt der Gesamteindruck aufgrund der gesamten Umstände des Falles. (E. 6.1)

g) Der Schutzumfang einer Widerspruchsmarke (vgl. Bst. e/iii hievor) ist abhängig von ihrer Stärke. Dabei genügen bei schwachen Zeichen bereits geringfügigere Abweichungen, um einen ausreichenden Schutzumfang zu verneinen. Als schwach gelten Marken, die sich dem Gemeingut annähern bzw. deren wesentliche Elemente sich eng an Sachbegriffe des allgemeinen Sprachgebrauchs anlehnen. Demgegenüber liegen starke Marken vor, wenn sie entweder aufgrund ihres fantasievollen Gehalts auffallen oder sich im Verkehr durchgesetzt haben (vgl. Bst. a – d hievor). (E. 6.3.1 sinngemäss)

h) Je grösser die Produkteähnlichkeit ausfällt, desto weniger stark darf die Zeichenähnlichkeit sein. (E. 6.3.2 sinngemäss)

i) Gemäss Art. 1 Abs. 2 MSchG können Marken in dreidimensionalen Formen bestehen. Als solche kommen in Frage: (i) plastische Kennzeichen, welche zumindest gedanklich ohne Funktionsverlust von Ware und Verpackung getrennt werden können (Formmarken i.w.S.) sowie (ii) kennzeichnende bzw. unmittelbar in Ware oder Verpackung verkörperte Formgebungen der Ware selber oder ihrer Verpackung (Formmarken i.e.S.). (E. 4.2 Abs. 1)

j) Eine ohne Farbanspruch registrierte Marke geniesst in jeder farblichen Variante Schutz. (E. 6.2 erster Satz)

2. Subsumption:

  • Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind als Privatgutachten beigebrachten Resultate einer demoskopischen Befragung im Internet zu berücksichtigen. Dabei ist eine Verkehrsdurchsetzung der beiden klägerischen Marken angesichts der sehr deutlich dafür sprechenden Aussagen der Befragten (94 % resp. 95 %; ungeschützte Zuordnung von 87 % resp. 89 %) zu bejahen. (E. 4.5 i.V.m. E. 4.8 Abs. 1 a.E. und Abs. 2 a.E.)
  • Verkehrsdurchsetzung und entsprechende Schutzfähigkeit der klägerischen Zeichen sind somit gegeben. (E. 4.10)
  • Als vorliegend massgebender Verkehrskreis gilt ein breites, mit durchschnittlicher Aufmerksamkeit agierendes Publikum. (E. 8.5 Mitte)
  • Eine relevante Produkteähnlichkeit wird durch das BGer im Sinne von Warenidentität bejaht; im Wesentlichen mit folgender Begründung (vgl. E. 5 a.E.):
    • Bei den durch die klägerischen Marken beanspruchten und im Verkehr durchgesetzten Lindt-Hasen handelt es sich um Schokolade. Analoges trifft auch auf die tatsächlich verwendeten Lidl-Hasen zu. (E. 5 i.V.m. E. 8.2 Abs. 2)
    • Entgegen der Vorinstanz, wird auch die Frage der Zeichenähnlichkeit durch das BGer bejaht, im Wesentlichen wie folgt:
    • Mit der Vorinstanz, ist der eine der Lindt-Hasen gemäss Marke Nr. 696'955 aufgrund der schwarz-weissen Ausgestaltung mit dem analog gestalteten Lidl-Hasen zu vergleichen. (E. 6.2 zweiter Teil)
    • Im Gesamteindruck in der Erinnerung der massgebenden Verkehrskreise treten die unterschiedlichen Details im Vergleich der zu prüfenden Zeichen in den Hintergrund, während die Hasen sich in der Art und Weise der äusseren Ausgestaltung entsprechen. (E. 8.3 Abs. 1 sowie E. 8.4 sinngemäss)
    • Die Lidl-Hasen lehnen sich stark und in irreführender Weise an die Lindt-Hasen an. (E. 8.3 Abs. 2 a.E.)
    • Die Ausführungen gelten nicht nur für den Schwarz-Weiss-Vergleich, sondern auch für den Lindt-Hasen in farbiger Ausführung (Marke Nr. P-536'640); denn die massgebenden Verkehrskreise können die leicht unterschiedlichen Farbtöne zwischen den Zeichen in der Erinnerung nicht auseinanderhalten. Ebensowenig schaffen die unterschiedlichen Farben von Maschen und Anhängern eine genügende Unterscheidbarkeit. (E. 8.5)
  • Bezüglich Schutzumfang bzw. Kennzeichnungs- oder Unterscheidungskraft der Lindt-Hasen wird auf einen weiten Ähnlichkeitsbereich geschlossen, weil die Lindt-Hasen eine notorische Verkehrsdurchsetzung geniessen. Zumal Warenidentität besteht, sind an die Unterscheidbarkeit der Lidl-Hasen somit hohe Anforderungen zu stellen. (E. 8.2)
  • Für die vorliegend – entgegen der Vorinstanz – gegebene Verwechslungsgefahr ist nicht die Frage nach einer Originalität der Lindt-Hasen entscheidend, sondern dass diese dank ihrer Verkehrsdurchsetzung einen erhöhten Schutzumfang geniessen. (E. 8.3 Abs. 2)

IV. Fazit:

Das Gericht entscheidet entgegen der Vorinstanz auf das Vorliegen einer relevanten Verwechslungsgefahr. Dies insbesondere dank der Verkehrsdurchsetzung und damit eines erhöhten Schutzumfangs zu Gunsten der klägerischen Zeichen. Dabei tritt es angesichts dieser Beurteilung auf die geltend gemachten lauterkeitsrechtlichen Ansprüche der Klägerin nicht ein.

iusNet IP 23.10.2022