Klage wegen Patentverletzung
I. Vorbemerkungen
1. Ausgangslage
Die Klägerin mit Sitz in New York, USA, ist Inhaberin des Europäischen Patents EP 9 999 999. Das Europäische Patent wurde am 1. April 2010 ohne Inanspruchnahme einer Priorität beim Europäischen Patentamt in deutscher Sprache eingereicht und am 31. Januar 2015 erteilt. Gegen das Patent wurde kein Einspruch eingelegt. Das Patent wurde in der Schweiz wirksam validiert. Die im April 2015 fällige Jahresgebühr wurde beim Institut für Geistiges Eigentum rechtzeitig entrichtet.
Der einzige Anspruch des Patents lautet wie folgt: Zusammensetzung zur topischen Behandlung von Kopfläusen enthaltend 40 bis 60% Sojaöl, 40 bis 60% Kokosnussöl und 1 bis 2% eines ethanolischen Extraktes eines Lippenblütlers.
In der Beschreibung und in den Beispielen ist dargelegt, dass diese Kombination signifikant besser wirkt als bekannte Zusammensetzungen mit synthetischen Inhaltsstoffen. Ausserdem konnte ein synergistischer Effekt nachgewiesen werden, das heisst, die Kombination der drei Komponenten wirkt besser als die Summe der einzelnen Komponenten. Überdies wurde festgestellt, dass die erfindungsgemässe Zusammensetzung die Kopfhaut nicht reizt oder austrocknet.
Aus der Beschreibung geht weiter hervor, dass die Gewinnung des Sojaöls und des Kokosnussöls mittels Standardverfahren erfolgen kann. Sojaöl kann beispielsweise durch Pressen oder Extraktion aus Sojabohnen gewonnen werden. Kokosnussöl kann beispielsweise durch Pressen des zerkleinerten und getrockneten Fruchtfleischs erhalten werden. Um die Haltbarkeit des Produktes zu erhöhen, können die Öle vor der Verarbeitung noch raffiniert werden.
In der Beschreibung werden als mögliche Lippenblütler für die ethanolischen Extrakte Lavendel, Pfefferminze und Zitronenmelisse genannt.
Seit dem 15. August 2015 ist der Klägerin bekannt, dass die X AG mit Sitz in Zürich in der Schweiz ein Produkt «Lausfrei» zur topischen Behandlung von Läusen verkauft, das 45.5% Sojaöl, 53% Kokosnussöl und 1.5% eines ethanolischen Extraktes von Zitronenmelisse enthält. Nachforschungen haben ergeben, dass «Lausfrei» zwar erst seit dem 1. Juli 2015 auf dem Markt ist, aber eine enorm hohe Marktakzeptanz hat. Die X AG ist eine grössere Drogeriekette mit insgesamt 50 Filialen in der Schweiz. Seit «Lausfrei» auf dem Markt ist, ist der Umsatz der Klägerin um CHF 100'000.00 eingebrochen.
«Lausfrei» wird von der Y GmbH mit Sitz in Erlinsbach, Aargau, hergestellt. Die Y GmbH ist eine kleine Firma mit 30 Mitarbeitern, die galenische Formulierungen im Tonnenmassstab für Drogerien und Apotheken herstellt. Der Patentinhaber möchte sein Patent durchsetzen.
2. Probleme und Risiken der Patentverletzungsklage
Patentverletzungsklagen sind häufig überdurchschnittlich komplex und beinhalten erhebliche Risiken, auch bezüglich Kosten.
Ein erstes beträchtliches Risiko stellt der mögliche Verlust des eigenen Patents dar. Auch wenn das Patent vom europäischen Patentamt geprüft worden ist und gegebenenfalls noch Rechercheberichte aus den USA und/oder Japan vorliegen, kann nie ausgeschlossen werden, dass es nicht doch ein Dokument des Standes der Technik gibt, der die Rechtsbeständigkeit des Patentes gefährden könnte. Erfahrungsgemäss behaupten Beklagte sehr oft einredeweise oder sogar widerklageweise die Nichtigkeit des Klagepatents. Handelt es sich beim Klagepatent sogar um ein Schweizer Patent, sollte die Rechtsbeständigkeit des ungeprüften Patents unbedingt vor der Klage-einreichung überprüft werden.
Das zweite grössere Risiko liegt beim vermeintlichen Verletzungsgegenstand: Tatsächlich gibt es Gegenstände, die mit hoher Wahrscheinlichkeit unter den Schutzbereich eines Anspruchs fallen. Deutlich häufiger lässt sich dies aber nicht abschliessend beurteilen, da die Merkmale des Anspruchs ausgelegt werden müssen. Über die Auslegung der Ansprüche kann jedoch trefflich gestritten werden.
Patentverletzungsprozesse können sehr teuer werden, vor allem wenn die Gültigkeit des Klagepatentes strittig ist.
3. Zu beachtende Fristen und Kosten
Eine Patentverletzungsklage und Klage auf Schadenersatz ist nur mit einem erteilten Patent möglich (Art. 60 Abs. 1 PatG und Art. 73 Abs. 3 PatG). Bei einem europäischen Patent wird die Entscheidung über die Erteilung des Patents an dem Tag wirksam, an dem der Hinweis auf die Erteilung im Europäischen Patentblatt bekannt gemacht wird (Art. 97 Abs. 3 EPÜ), beim Schweizer Patent durch die Eintragung ins Patentregister (Art. 60 PatG). Allerdings kann der Schaden, den die Beklagte verursacht hat, geltend gemacht werden, seit sie vom Inhalt der europäischen Patentanmeldung oder des Schweizerischen Patentgesuchs Kenntnis erlangt hat, spätestens bei Veröffentlichung des Anmeldetextes (Art. 73 Abs. 3 PatG).
Hinsichtlich der Verjährungsfristen für den Schadenersatz gilt auch im Patent-verletzungsprozess Art. 60 Abs. 1 OR. Damit sind die Schadenersatzansprüche ein Jahr seit Kenntnis, spätestens jedoch zehn Jahre seit der schädigenden Handlung verjährt (HEINRICH, PatG/EPÜ, Art. 73 PatG N 94). Die zivilrechtliche Verjährungsfrist beginnt mit dem Tag, an dem der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hatte (Art. 60 Abs. 1 OR). Bei kontinuierlicher Verletzung des Patents beginnt die Verjährung erst mit der letzten Verletzungshandlung zu laufen (BGE 86 II 406, Regeste).
Wenn eine Patentverletzung vorsätzlich begangen wird, kann der Anspruch auch auf eine strafbare Handlung gestützt werden. In diesem Fall gilt die strafrechtlich längere Verjährungsfrist von 7 Jahren (Art. 81 Abs. 1 PatG i.V.m. Art. 97 Abs. 1 lit. d StGB). Die strafrechtliche Verjährungsfrist beginnt gemäss Art. 97 StGB mit der Tatbegehung und nicht erst ab Kenntnis des Schadens (BPatG O2014_002 vom 25.01.2016 E. 6.6.2).
Hinsichtlich der Verwirkung gehen die Lehrmeinungen auseinander. HEINRICH geht davon aus, dass es eine Verwirkung im Wesentlichen nicht gibt (HEINRICH, PatG/EPÜ, Art. 73 PatG N 100–101), während SCHWEIZER als Daumenregel eine Frist von acht bis zehn Jahren nach tatsächlicher Kenntnis der Verletzung annimmt (SCHWEIZER, Verwirkung, S. 336). Nach zwei Jahren Zuwarten ist jedenfalls ein Anspruch nicht verwirkt (BPatG O2014_002 vom 25.01.2016 E. 6.6.4).
Die unterliegende Partei hat die Kosten zu tragen (Art. 27 PatGG i.V.m. Art. 106 Abs. 1 ZPO). Die Gerichtsgebühr ist streitwertabhängig (Art. 1 KR-PatGer). Zudem ist der obsiegenden Partei eine Parteienschädigung zu entrichten, die die Entschädigung für die berufsmässige rechtsanwaltliche Vertretung umfasst (Art. 3 und Art. 5 KR-PatGer). Ausserdem können Auslagen für den Patentanwalt geltend gemacht werden (Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 lit. a KR-PatGer).
Der Streitwert wird bei einem einfachen Patent oft mit CHF 300'000.00 angenommen. Das führt bereits zu einer Gerichtsgebühr in der Grössenordnung von CHF 30'000.00 und zu einer Parteientschädigung in der Grössenordnung von CHF 35'000.00, wobei die tatsächlichen Rechtsanwaltskosten in aller Regel deutlich höher sind. Bei wirtschaftlich wertvollen Patenten können die Kosten leicht auf das fünffache und mehr ansteigen.
Bei Prozessverlust bezahlt die unterliegende Partei die Gerichtsgebühr, ihre eigenen Patent und Rechtsanwaltskosten, sowie die Prozessentschädigung zuzüglich der tatsächlichen Patentanwaltskosten der Gegenpartei.
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin ihren Sitz in den USA. Gemäss Art. 99 Abs. 1 lit. a ZPO hat die klagende Partei auf Antrag der beklagten Partei für deren Parteientschädigung eine Sicherheit zu leisten, wenn sie keinen Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz hat (BPatG O2013_013 vom 10.04.2014). Solche Sicherheitsleistungen können erheblich sein, entsprechend ist es empfehlenswert, dies bei der Beratung der Mandanten zu berücksichtigen.
II. Klageschrift
Musterklageschrift zum Download
III. Ergänzende Hinweise
1. Rechtsbegehren
Im Unterlassungsbegehren müssen die Merkmale der angegriffenen Verletzungsform genannt werden. Die blosse Typenbezeichnung reicht nicht aus (BGE 131 III 70, Sammelhefter-V). Diese Haltung wird vom Bundespatentgericht bestätigt (BPatG S2012_003 vom 02.02.2012). Mit anderen Worten muss jedes funktionelle Merkmal des Patentanspruchs detailliert am Verletzungsgegenstand konkretisiert werden.
2. Benützung
Gemäss PatG Art. 8 Abs. 2 gelten als Benützung insbesondere das Herstellen, das Lagern, das Anbieten, das Inverkehrbringen, die Ein- und Aus- und Durchfuhr sowie der Besitz zu diesen Zwecken.
3. Beweislast
Grundsätzlich obliegt im Patentverletzungsprozess die Beweislast dem Patentinhaber. Da der Patentinhaber jedoch nur in Ausnahmefällen Zugang zu den Produktionsstätten und damit zu den Fabrikationsprozessen des Verletzers hat, gilt für Verfahrenspatente die Umkehr der Beweislast (Art. 67 PatG und ausführlich: STIEGER, Recht, S. 48–56).
4. Berechtigungsanfrage
Im Allgemeinen empfiehlt es sich, dem vermeintlichen Verletzer das Patent vor Erhebung einer Klage zur Kenntnis zu bringen. Dies kann in Form einer Berechtigungsanfrage geschehen, in dem auf das Schutzrecht hingewiesen wird. Alternativ kann auch eine Abmahnung zusammen mit der vorbereiteten Unterlassungserklärung zugestellt werden. Sowohl Berechtigungsanfrage als auch Abmahnung haben den Vorteil, dass ab dem Zeitpunkt der Tatbestand der Bösgläubigkeit gegeben ist, da der vermeintliche Verletzer «wusste, wissen musste oder wissen konnte, dass eine fehlerhafte Rechtstellung vorliegt» (BPatG O2013_007 vom 19.03.2014 E. 4.3).
5. Aktivlegitimierung
Der Patentinhaber ist zu einer Patentverletzungsklage gemäss Art. 66 i.V.m. Art. 72 bis 73 PatG berechtigt. Ausserdem ist der ausschliessliche Lizenznehmer gemäss Art. 75 Abs. 1 ebenfalls selbständig zur Klage gemäss Art. 66 i.V.m. Art 72 und 73 PatG berechtigt, sofern dies im Lizenzvertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Die Klageberechtigung des ausschliesslichen Lizenznehmers ist unabhängig von der Eintragung der Lizenz im Register.
6. Nichtigkeitseinrede/Nichtigkeitswiderklage
Als Reaktion auf eine Patentverletzungsklage wird als häufige Verteidigungslinie widerklageweise auf Nichtigkeit nach Art. 26 PatG geklagt. Dabei handelt es sich um eine Klage auf Feststellung (HEINRICH, PatG/EPÜ, Art. 26 PatG N 25). Mögliche Nichtigkeitsgründe sind fehlende Patentierbarkeit, mangelnde Neuheit, mangelnde erfinderische Tätigkeit, mangelnde gewerbliche Anwendbarkeit und fehlende Ausführbarkeit. Zudem darf der Gegenstand des Patents nicht über den Inhalt der ursprünglichen Patentanmeldung hinausgehen. Letzteres sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit sind besonders häufige Nichtigkeitseinwände.
Alternativ kann die Beklagte im Patentverletzungsprozess einen Nichtigkeitseinwand, auch Nichtigkeitseinrede genannt, machen. Eine solche Nichtigkeitseinrede basiert auf den gleichen Gründen wie die Nichtigkeitswiderklage, nur die Rechtsfolgen der beiden Alternativen sind verschieden. Überdies fallen bei der Nichtigkeitseinrede im Gegensatz zu der Nichtigkeitswiderklage keine zusätzlichen Gerichtskosten an.
Bei Gutheissung der Nichtigkeitswiderklage wird das Patent für nichtig erklärt und entsprechend im Register mit ex tunc-Wirkung gelöscht. Im Gegensatz dazu wird nach einer erfolgreichen Nichtigkeitseinrede die Patentverletzungsklage abgewiesen. Das Patent bleibt jedoch in Kraft und kann Dritten gegenüber nach wie vor geltend gemacht werden.
7. Schadenersatz
Schaden ist die Verminderung des Reinvermögens, die wegen einer Verminderung der Aktiven, einer Vermehrung der Passiven oder wegen entgangenem Gewinn entsteht. Während das PatG in Art. 73 formal nur Schadenersatz im Kontext einer unerlaubten Handlung nennt (Art. 41 ff. OR), ist es unstreitig, dass auch aus ungerechtfertigter Bereicherung (Art. 62 ff. OR) und aus Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 423 OR, Gewinnherausgabe) Ansprüche bestehen.
Der Anspruch auf Schadenersatz richtet sich nach geltender bundesgerichtlicher Rechtsprechung ausschliesslich nach Obligationenrecht. Das Bundesgericht hat namentlich der sogenannten Lizenzanalogie als Variante der Schadensberechnung eine Absage erteilt; diese ist im EU-Raum aufgrund der EU-Richtlinie betreffend die Durchsetzung von Immaterialgüterrechten (Richtlinie 2004/48/EG) sehr verbreitet.
Voraussetzung sind grundsätzlich Schaden, Widerrechtlichkeit, Verschulden und adäquater Kausalzusammenhang. Während die Widerrechtlichkeit im typischen Patentverletzungsprozess – bei erfolgreicher Klage – kein Problem ist, sind der Schadensbeweis einschliesslich insbesondere adäquate Kausalität und Fragen des Verschuldens in der Regel schwierig, nicht zuletzt weil die Rechtsprechung hohe Anforderungen an den Schadensbeweis stellt. Zum Ganzen HEINRICH, PatG/EPÜ, Art. 73 PatG N 24 ff.
Ein Schadenersatzanspruch nach Art. 41 ff. OR setzt Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) voraus. Gewinnherausgabe nach Art. 423 OR setzt Bösgläubigkeit des Verletzers voraus. Mittels Eingriffskondition (Art. 62 ff. OR) kann die unrechtmässige Bereicherung des Schädigers auch dann herausverlangt werden, wenn der Geschädigte nicht entreichert ist, wobei allerdings nach Art. 64 OR der gutgläubige Verletzer einwenden kann, er sei nicht (mehr) bereichert.
Der Patentinhaber muss daher, will er Schadenersatz erlangen, nicht nur nach den drei möglichen Anspruchsgrundlagen auf der Basis der Rechnungslegung seine Forderung berechnen, sondern auch das Verschulden bzw. die Bösgläubigkeit und eine mögliche Entreicherung des Verletzers berücksichtigen. Dazu kommt die Substantiierungspflicht des Patentinhabers, die trotz Art. 42 OR (Schätzung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge) gilt.