Schutzbereich eines ergänzenden Schutzzertifikates (ESZ) - Erstmals spricht das Bundesgericht einem ESZ einen Schutzbereich zu
Schutzbereich eines ergänzenden Schutzzertifikates (ESZ) - Erstmals spricht das Bundesgericht einem ESZ einen Schutzbereich zu
Schutzbereich eines ergänzenden Schutzzertifikates (ESZ) - Erstmals spricht das Bundesgericht einem ESZ einen Schutzbereich zu
I. Ausgangslage
Die Beschwerdegegnerin (Klägerin) ist Inhaberin des Europäischen Patents (EP) 0915894 mit Wirkung für die Schweiz. Gestützt auf dieses Patent wurde der Klägerin das ergänzende Schutzzertifikat Nr. C00915894/01 erteilt. Das Zertifikat wurde für die Wirkstoffkombination «Tenofovir-Disoproxilfumarat + Emtricitabin» erteilt. «Tenofovir-Disoproxil» und «Emtricitabin» sind Wirkstoffe; «Fumarat» ist ein Salz. Die angegriffenen Arzneimittel der Beschwerdeführerin (Beklagte) sind demgegenüber für «Tenofovir-Disoproxilphosphat» in Kombination mit weiteren Wirkstoffen zugelassen. «Phosphat» ist ebenso ein Salz. Somit liegt der Wirkstoff «Tenofovir-Disoproxil» gemäss dem Zertifikat in einer anderen Salzform vor, als dies gemäss den Zulassungen bzw. Arzneimitteln der Beschwerdeführerin der Fall ist.
Die Nichtigkeitsklage der Beschwerdeführerin wurde sowohl vom Bundespatentgericht wie auch vom Bundesgericht abgewiesen. Die Beständigkeit des ESZ war somit im vorliegenden Verfahren nicht mehr strittig.
Mit Urteil vom 3. Mai 2019 hat das Bundespatentgericht die Klage der Beschwerdegegnerin gutgeheissen (BPatG 02017_023 v. 3. Mai 2019; dieses Urteil wurde vom Autor bereits kommentiert): Das Bundespatentgericht vertritt die Auffassung, dass einem ESZ ein Schutzbereich zukomme. Dieser bestimme sich anhand des Erzeugnisbegriffs, der sich seinerseits an der heilmittelrechtlichen Auffassung orientiere. Hiernach erstrecke sich der Schutzbereich auf jene Generika, für welche eine vereinfachte Zulassung nach dem Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) erwirkt werden könne. Eine vereinfachte Zulassung ist möglich, wenn die gleiche pharmakologische Wirkung des Generikums belegt wird. Subsidiär prüfte das Bundespatentgericht unter Verwendung der für Patente entwickelten Prinzipien (Gleichwirkung, Auffindbarkeit und Gleichwertigkeit), ob ein Eingriff in den Schutzbereich vorliege und kam zum Schluss, dass auch diesfalls ein Eingriff zu bejahen sei.
Gegen dieses Urteil wurde Beschwerde in Zivilsachen erhoben, womit sich das Bundesgericht damit zu befassen hatte. Dieses wies mit Urteil vom 26. November 2019 die Beschwerde ab. Es handelt sich um das erste höchstinstanzliche Urteil, das sich mit der Frage befasst, ob (auch) einem ESZ ein Schutzbereich zukommt. Das Urteil des Bundesgerichts wird in der Folge analysiert und kommentiert.
II. Erwägungen des Bundesgerichts
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz können nur berichtigt oder ergänzt werden, wenn diese offensichtlich unrichtig (willkürlich) seien oder gegen geltendes Recht verstossen. Somit sei auf die Rüge der Beschwerdeführerin, wonach Wirkstoffkombinationen vom Grundpatent nicht erfasst seien, nicht einzutreten (da die Vorinstanz Gegenteiliges bereits verbindlich festgelegt habe). Gleiches gelte für die Rüge, wonach Tenofovirdisoproxil- Fumarat im ESZ nicht breiter ausgelegt werden dürfe als im Patent (E. 3.1. f.).
Ein weiteres Mal bestätigte das Bundesgericht, dass bei der Auslegung der Normen des schweizerischen Rechts betreffend Zertifikate die europäischen Normen zu berücksichtigen sind (E. 4.3.2.). Weiter wies es auf die doppelte Einschränkung eines ESZ hin: Erstens gewähre ein Zertifikat nie einen breiteren Schutzbereich als das ihm zu Grunde liegende Patent (Grundpatent). Zweitens sei der Schutz auf das Erzeugnis beschränkt, das zur Verwendung als Arzneimittel (von Swissmedic) zugelassen worden sei. Somit sei der Schutzbereich eines ESZ in der Regel kleiner als derjenige des Grundpatents (E. 4.3.3.).
Da das Zertifikat (auch) auf die genehmigte Verwendung beschränkt sei, stelle sich die Frage, ob Raum für einen Schutzbereich bestehe oder aber einzig das Erzeugnis gemäss Arzneimittelzulassung geschützt sei (E. 4.3.4.).
Der EuGH habe im Urteil Farmitalia ausgeführt, dass ein ESZ ein Erzeugnis als Arzneimittel in allen dem Schutz des Grundpatents unterliegenden Formen schützen könne. Einzig mit dieser Auffassung lasse sich das in der einschlägigen Verordnung genannte Ziel erreichen (Förderung der Forschung im pharmazeutischen Bereich). Ansonsten hätte gemäss dem EuGH jeder Generikahersteller die Möglichkeit, eine arzneimittelrechtliche Zulassung für ein anderes Salz i.V.m. demselben, d.h. dem geschützten Wirkstoff zu erhalten. Zudem sei vorgesehen, dass das Zertifikat die gleichen Rechte wie das Grundpatent gewähre (E. 4.3.4.1.).
Nach Betrachtung der im Farmitalia-Urteil gemachten Äusserungen legte das Bundesgericht die schweizerischen Lehrmeinungen dar. Einhellig werde die Auffassung vertreten, dass sich der Schutzbereich von ergänzenden Schutzzertifikaten auch auf Salzforme eines Erzeugnisses erstrecke, die nicht in der behördlichen Genehmigung angegeben sind, soweit diese vom Schutzbereich des Grundpatents umfasst seien und keine andere pharmakologische Wirkung aufweisen würden. Gleiches gelte in Bezug auf die Lehre zum europäischen Recht (E. 4.3.4.2.).
Zurückkommend auf die Farmitalia-Ausführungen pflichtete das Bundesgericht der Beschwerdeführerin insofern bei, als dass das Urteil Farmitalia die Voraussetzungen für die Erteilung eines Zertifikats zum Gegenstand hatte (und nicht die Verletzung). Die im Urteil Farmitalia vorgetragene Argumentation könne zur Beantwortung der hier interessierenden Frage dennoch herangezogen werden (E. 4.3.4.3.).
Würde ein Zertifikat nur das bestimmte Salz des Wirkstoffes schützen, das in der Zulassung genannt ist, stünde es jedem Konkurrenten frei, bei Ablauf des Patents ein anderes Salz des Erzeugnisses mit derselben pharmakologischen Wirkung zu benutzen. Dass die Verlängerung des Schutzes in zeitlicher Hinsicht durch ein eigenständiges Ausschliesslichkeitsrecht (Zertifikat) und nicht durch eine Verlängerung des Patentschutzes gewährt werde ändere nichts daran, dass ein Zertifikat nach Art. 140d Abs. 2 PatG die gleichen Rechte wie das Patent gewähre. Mit der damit (Schutzfristverlängerung durch Zertifikate und nicht durch längere Patentlaufzeit) zusammenhängenden Einschränkung des Schutzbereichs des Zertifikats auf die genehmigten Anwendungen sei nicht bezweckt worden, dass die vom Grundpatent geschützten Derivate des Wirkstoffes vom Schutz des für eine bestimmte Salzform erteilten Zertifikats ausgeschlossen seien. Soweit folglich Derivate, welche die gleiche pharmakologische Wirkung aufweisen wie die in der arzneimittelrechtlichen Genehmigung aufgeführte Form des Erzeugnisses, vom Schutzbereich eines Patents erfasst sind, würden diese vom ergänzenden Schutzzertifikat ebenfalls geschützt (E. 4.3.4.3.).
Somit sei die Auffassung der Vorinstanz, wonach die Generika der Beschwerdeführerin den Schutzbereich des ESZ tangieren, nicht zu beanstanden und die Beschwerde sei abzuweisen (E. 4.4. und E. 5.).
III. Anmerkungen zum Urteil
In Einklang mit dem Bundespatentgericht spricht auch das Bundesgericht einem ESZ einen Schutzbereich zu. Zu Recht führt es aus, dass der Schutz eines ESZ nicht auf die in der Zulassung genannten Salze beschränkt sei, sondern sich auch auf andere Salze (Derivate) erstrecke. Andernfalls könnte der gewährte Schutz durch Benutzung alternativer Salze umgangen werden, was nicht Zweck der Zertifikate ist. Ob sich der Schutzbereich eines ESZ an der heilmittelrechtlichen Auffassung zu orientieren hat, wie dies das Bundespatentgericht ausführte, beantwortet das Bundesgericht nicht explizit. Indem es (in lediglich einem Satz!) darlegt, dass Derivate, welche die gleiche pharmakologische Wirkung aufweisen, vom Schutzbereich erfasst werden, stellt es indessen auf das heilmittelrechtliche Kriterium ab. Die Möglichkeit, dass der Schutzbereich auch Derivate mit einer anderen pharmakologischen Wirkung erfassen kann, lehnt das Bundesgericht aller Voraussicht nach ab («soweit»).
Wie im Kommentar zum Urteil des Bundespatentgerichts ausgeführt, überzeugt das Abstellen auf das Kriterium der «selben pharmakologische Wirkung» (heilmittelrechtliche Beurteilung), da es sich dabei um ein klares (und von Swissmedic bereits beurteiltes) Kriterium handelt. Auf die vom Bundespatentgericht subsidiär geprüften patentrechtlichen Grundsätze (Gleichwirkung, Gleichwertigkeit und Auffindbarkeit) geht das Bundesgericht nicht ein.