Das christliche Kreuz im Zeichen «[Hirsch] (fig.)» ist infolge Gewöhnung z.B. an seine Verwendung in Schmuckstücken nicht sittenwidrig
Das christliche Kreuz im Zeichen «[Hirsch] (fig.)» ist infolge Gewöhnung z.B. an seine Verwendung in Schmuckstücken nicht sittenwidrig
Das christliche Kreuz im Zeichen «[Hirsch] (fig.)» ist infolge Gewöhnung z.B. an seine Verwendung in Schmuckstücken nicht sittenwidrig
B-1440/2019 v. 5.2.2020
I. Ausgangslage
Am 29. September 2016 notifizierte die OMPI für die deutsche Mast-Jägermeister SE (nachfolgend auch Bf) eine Schutzausdehnung der internationalen Registrierung Nr. 1'311'081 mit deutscher Basiseintragung vom 30. Juli 2015 für diverse Produkte der Klassen 3, 9, 11, 12, 14-16, 18, 20-22, 24-28, 32-35, 38, 39 und 41-43 auf die Schweiz, wobei sich das Zeichen wie folgt präsentiert:
Mit Verfügung vom 19. Februar 2019 verweigerte das IGE die Schutzausdehnung für die Produkte, mit Ausnahme gewisser (in der Verfügung einzeln aufgeführter) Waren wie z.B. Bijouterieartikel, Taschen, Artikel aus dem Bekleidungsbereich sowie Bier- und andere Alkoholprodukte. Die Verweigerung wurde durch das IGE im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Verwendung des Kreuzes, mithin eines zentralen Symbols des Christentums, zur kommerziellen Nutzung bzw. im strittigen Zeichen könne das religiöse Empfinden christlicher Abnehmer verletzen, weshalb es grundsätzlich sittenwidrig sei. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sei nicht ersichtlich; denn das Zeichen beanspruche keine Waren mit religiösem Bezug, und eine Gewöhnung der Abnehmer an die wertneutrale Verwendung des Kreuzes liege nicht vor. Gegen diese Verfügung erhob die Mast-Jägermeister SE am 25. März 2019 Beschwerde beim BVGer bezüglich der durch das IGE verweigerten Produkte.
Gutheissung der Beschwerde
II. Erwägungen unter dem Aspekt der Sittenwidrigkeit
1. Grundsätzliches:
a) Gemäss Art. 6quinquies Bst. B Ziff. 3 PVÜ, welches für das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz anwendbar ist, kann die Eintragung einer Marke verweigert werden, (u.a.) wenn sie gegen die guten Sitten verstösst. Dieser Regelung entspricht der schweizerische Art. 2 Bst. d MSchG. (E. 2.1 i.V.m. E. 2.2 erster Satz)
c) Sittenwidrig sind (u.a.) Zeichen, welche geeignet sind, das religiöse Empfinden der Gesellschaft zu verletzen. Dabei ist bei religiösen Namen oder Symbolen nicht der Inhalt an sich, sondern die markenmässige Verwendung des Zeichens zur kommerziellen Nutzung entscheidend bzw. die Frage, ob die fraglichen Namen oder Symbole in der betroffenen Religionsgemeinschaft eine zentrale Rolle einnehmen und die Kommerzialisierung des Zeichens geeignet ist, das erwähnte religiöse Empfinden zu verletzen. (E. 2.2 zweiter Teil i.V.m. E. 2.3)
d) Als Massstab für das Empfinden bezüglich religiöser Namen oder Symbole gelten die durchschnittlichen Angehörigen – auch von Minderheiten – der betroffenen Religionsgemeinschaft in der Schweiz; übertrieben empfindliche Randgruppen sind dabei nicht zu berücksichtigen. (E. 2.4)
e) Für die Schutzfähigkeit einer Marke ist auch für die Frage der Sittenwidrigkeit der Gesamteindruck der Marke – aufgrund einer Gewichtung der Zeichenelemente in ihrem semantischen Zusammenwirken – entscheidend. (E. 4.1 Abs. 1 a.A.)
f) Im Bereich von Art. 2 Bst. d MSchG wirken relativierende Zeichenelemente weniger entlastend als im Rahmen von Art. 2 Bst. a MSchG bezüglich unterscheidungskräftiger Zusätze zwecks Beseitigung des Gemeingutcharakters. Dennoch können zusätzliche Elemente auch bei religiöse Symbole enthaltenden Marken grundsätzlich zur Schutzfähigkeit derselben führen. (E. 4.1 Abs. 1 zweiter Teil i.V.m. E. 4.1 Abs. 2)
g) Gemäss dem Spezialitätsprinzip hat die Prüfung der Schutzfähigkeit mit Bezug auf die beanspruchten Produkte zu erfolgen. Aufgrund von BGE 136 III 474 (i.S. «Madonna [fig.]») kann der Eindruck entstehen, das genannte Prinzip gelange im Rahmen von Art. 2 Bst. d MSchG nur ausnahmsweise zur Anwendung, nämlich wenn geltend gemacht werde, die kommerzielle Verwendung des Zeichens sei aufgrund von Gewöhnung allgemein akzeptiert oder es werde ausschliesslich für Produkte mit klarem religiösem Bezug verwendet. Das BVGer schliesst aus diesem Urteil jedoch, das Spezialitätsprinzip sei in jedem Fall zu respektieren, wobei jedoch ein Zeichen im Einzelfall bezüglich einzelner oder aber auch mit Bezug auf alle beanspruchten Produkte rechts-, ordnungs- oder sittenwidrig sein könne. (E. 4.2 i.V.m. E. 4.3 Abs. 1 und 2)
h) Die Frage nach einem allfälligen Bezug auf sämtliche beanspruchten Produkte i.S. von E. 4.3 Abs. 2 (vgl. Bst. g a.E. hievor) beurteilt sich gemäss BVGer hinsichtlich Verletzung religiöser Empfindungen aufgrund des Stellenwerts des Zeichens aus der Perspektive der betroffenen Glaubensangehörigen: Je grösser dieser Stellenwert, desto mehr reduziert sich der Einfluss der beanspruchten Produkte (sowie auch derjenige weiterer Zeichenelemente) bis hin zum Ausschluss sämtlicher Produkte angesichts religiöser Zeichen von zentraler Bedeutung, sofern keine Ausnahme i.S. von allgemeiner Akzeptanz infolge Gewöhnung oder wegen klarem religiösem Bezug der Produkte (vgl. diesbezüglich E. 4.3 Abs. 1 a.E.) gegeben ist. (E. 4.3 Abs. 3)
i) Hinsichtlich notorischer Bekanntheit (und damit wohl auch Gewöhnung) sowie intensiven Gebrauchs bzw. «secondary meaning» sowie Verkehrsdurchsetzung hält das BVGer Folgendes fest: Angesichts der Tatsache, dass die guten Sitten zeitlich wandelbar sind, ist es gerechtfertigt, die Möglichkeit eines Bedeutungswandels nicht nur beim Ausschlussgrund des Gemeinguts (Art. 2 Bst. a MSchG) sowie der Irreführung nach Art. 2 Bst. c MSchG, sondern auch im Rahmen von Art. 2 Bst. d MSchG zu berücksichtigen. (E. 6.4 Abs. 3)
2. Subsumtion:
- Im christlichen Ritus hat das lateinische Kreuz eine zentrale religiöse Stellung. Dementsprechend sind die religiösen Empfindungen christlicher Glaubensangehöriger zu respektieren und sie verletzende Zeichen vom Markenschutz auszunehmen. (E. 5.6)
- Seit der lutherischen Reform hat die Kreuzform jedoch in vielfältiger Weise Verwendung auch ausserhalb von Kirchen gefunden, so beispielsweise auch massenhaft als Schmuckmotiv oder als Konsumobjekt – ohne religiöse blasphemische – Prägung in der Popkultur. Deshalb ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Kommerzialisierung des Kreuzes als Marke religiöse Gefühle verletzen kann, wobei der alleinige Umstand, dass eine Marke ein Kreuz enthält, angesichts von dessen Profanisierung es noch nicht rechtfertigt, das Zeichen wegen Sittenwidrigkeit vom Markenschutz auszuschliessen. (E. 5.4 i.V.m. E. 5.5 und 5.6)
- Ob zwischen dem im Zeichen enthaltenen Kreuz und dem Hirschkopf – als Hinweis auf den heiligen Hubertus – ein Zusammenhang besteht, ist vorliegend irrelevant, weil das Kreuz als solches klar als christliches Symbol erkennbar bleibt. (E. 6.3)
- Die Bf hat mittels einer Reihe von analogen Bildmarken einen jahrzehntelangen Gebrauch des Kreuzmotivs belegt, der wohl zu einem Bedeutungswechsel führte, indem auch die religiösen Abnehmer das Zeichen mit der Bf in Verbindung bringen bzw. sich an die Abbildung gewöhnt haben. (E. 6.4 Abs. 3 erster Teil)
- Hinsichtlich des durch die Bf vertriebenen Kräuterschnapses dürfte die strittige Marke zudem notorisch bekannt sein bzw. dürfte der intensive Gebrauch der Marke den religiösen Charakter des Kreuzes verdrängt haben. (E. 6.4 Abs. 3 zweiter Teil)
- Zusammenfassend ist entscheidend, dass die strittige Marke die religiösen Gefühle durchschnittlicher Christen jedenfalls infolge Gewöhnung nicht verletzt; denn das Kreuz wird nicht in verletzender oder respektloser Weise dargestellt. Auch abgesehen vom Kräuterschnaps erweist sich das Zeichen somit im Lichte von Art. 2 Abs. d MSchG für alle beanspruchten Produkte als schutzfähig. (E. 6.5)
III. Fazit
Das BVGer präzisiert mit Bezug auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, dass die allfällige Sittenwidrigkeit eines Zeichens nicht von vornherein alle durch eine Marke beanspruchten Produkte betrifft. Vielmehr bedinge das Spezialitätsprinzip in jedem Fall eine Prüfung der einzelnen Produkte. Dabei sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass sämtliche Produkte durch die Sittenwidrigkeit beeinträchtigt werden. Im vorliegenden Fall widerspricht das Gericht der Vorinstanz, indem es das strittige Zeichen insbes. wegen Gewöhnung des Publikums an dasselbe trotz Verwendung des lateinischen Kreuzes als sittenkonform qualifiziert.